Noch vor einem Jahr war Rudi Anschober in fast allen Medien „der Mann der Stunde“. Alle waren sich einig, welches Glück wir mit so einem Politiker haben, der mit Ruhe und Klarheit diese beispiellose Krise managt!
19.04.2021
Tja, und jetzt? Ausgebrannt, überlastet und erschöpft erklärt er uns in seiner Rücktrittsrede, dass er die Zeichen seines Körpers ernst nimmt und sich eingestehen muss, dass er nicht mehr zu 100 Prozent fit ist. Jeder kann sehen, dass er von den 100 Prozent ganz weit entfernt ist, und dass er offensichtlich auf die Zeichen seines Körpers viel zu spät reagiert.
Ich will hier überhaupt nicht über sein Krisenmanagement im Laufe seiner Amtszeit urteilen, sondern in diesem Kontext zum Nachdenken anregen, wie wir generell in diesem Land mit psychischen Belastungen umgehen. Rudi Anschober ist eine Person des öffentlichen Lebens. Dass ihn die Aggression und die Sensationslust vieler Menschen trifft, lässt sich schwer vermeiden. Aber in wie weit färbt dieses Verhalten gegenüber allen anderen, die „auch zu schwach“ sind, ab?
Laut dem Bundesverband für Psychotherapie entstehen diese Belastungsreaktionen – viele sagen auch Burn-out dazu – meist dann, wenn das Dreieck aus Machbarkeit der Arbeit, Sinnhaftigkeit und Anerkennung derer und Erholung aus den Fugen gerät. Perfektionismus, Ehrgeiz und die mangelnde Fähigkeit, „Nein“ zu sagen, verstärken diese Überlastung meist noch.
Dies betrifft Zigtausende in diesem Land, und wir drehen weiter an der Leistungsschraube. Wir sind konditioniert auf diese Leistungsgesellschaft, aber sie wird so keine Zukunft mehr haben. Anschober trägt dazu bei, dieses Thema in unserer Gesellschaft zu enttabuisieren.
Unsere Gesellschaft befindet sich in einem Wandel, und das ist gut so. Wir müssen eine neue Achtsamkeit entwickeln, nicht mit dem Blick auf unsere Leistung gerichtet, sondern auf unsere Persönlichkeit. Corona bietet uns jetzt die Chance, unsere Zukunft neu zu gestalten. Und viele haben diese Möglichkeit bereits erkannt und engagieren sich für einen gesellschaftlichen Wandel. Jede Woche erreichen mich neue Projekte, Ideen, Initiativen und Plattformen, die sich mit einem neuen Wirtschaften beschäftigen, mit einer Ökonomie der Menschlichkeit. Die Digitalisierung und der technische Fortschritt sind unbeabsichtigter Treiber dieser Entwicklung.
Viele Menschen suchen nach Orientierung in diesem Transformationsprozess, und jeder der diesen Nerv trifft, findet regen Zulauf.
„Was hast du Verbot‘nes gemacht?“ singen Minisex auch in ihrem Liedtext über Rudi. Ich denke, er hat zu spät zu dieser Achtsamkeit gefunden. Ich wünsche ihm, dass sie ihm erhalten bleibt, aber noch viel mehr wünsche ich uns als Gesellschaft diesen Wandel. Wir haben jetzt die große Chance uns zu verändern, aber nicht in Richtung noch mehr Leistung, sondern in Richtung unserer Persönlichkeit! Und diese muss nicht allein über die Arbeit definiert sein!
Business-Concierge und Charakter Trainer
Ich denke, dass es für Menschen, die nicht in der politischen Mühle stecken, kaum vorstellbar ist, was dort passiert. Es ist nicht einfach ein Belastungsjob 24/7. Was für mich überhaupt nicht in Frage käme, ist mich der Meute auszusetzen, die gegen meine Arbeit hetzen und mich und meine Liebsten mit Morddrohungen konfrontieren.
Nun kann man sagen, das weiß man aber, wenn man in der Spitzenpolitik ist. Ich kenne halt einige, die dort waren und die es entweder nicht mehr aushalten oder für sich entscheiden, dass sie sich diesen Schrott nicht mehr zumuten wollen. Manches ist auch mit Macht oder Geld nicht zu begleichen.
Ich erlebe es auch immer wieder mal in Unternehmen, wie Menschen sich erschöpfen und die sogenannte "Gratifikationskrise" das Sinnerleben in ihrer Arbeit ziemlich reduziert. Und ehrlich - ich denke mir dann immer wieder mal und kommuniziere es auch klar an die Führungskräfte - warum fällt es so schwer, Anerkennung zu geben. Anerkennung, für das Offensichtliche was ein Mensch leistet. Das würde zumindest ein bisserl Energie, Freude, Motivation zurückgeben. Sind da Menschen in Positionen, die selber sehr wenig Anerkennung bekommen haben? Leistung war und ist was zählt... Puh, das Thema birgt zu viel Stoff in sich... Ich finde aber, wir können einiges an der jüngeren Generation gut machen. Schauen wir auf das, was sie gut können und picken wir nicht auf den Schwächen herum. Damit lenken wir die Achtsamkeit auf ihre Stärken und ermöglichen ihnen, diese auszuleben.
Dann werden wir in Zukunft sicher weniger Erschöpfte haben.