Wenn man nach den Vorstellungen der Menschen im Mittelalter geht, leben wir im Schlaraffenland. Kein Wunder, damals waren die Menschen bitterarm, krank, schmutzig und obendrein noch hässlich. Als keinen Trost hatten sie Aussicht, sehr bald zu sterben. Wenn man einen Menschen im siebzehnten Jahrhundert in eine Zeitmaschine gesteckt und ihn 50 Jahre in die Zukunft katapultiert hätte, hätte er kaum eine Veränderung bemerkt. Also die Dynamik hielt sich auch in Grenzen.
23.07.2020
In einem neuen spannenden Buch von Rutger Bregman „Utopien für Realisten“ gibt es eine ganze Fülle von derartigen Vergleichen, untermauert mit Daten und Fakten. Unser Leben übertrifft bei Weitem die wildesten Träume unserer Vorfahren. Ich fand den Verweis auf das Schlaraffenland sehr inspirierend und habe mir dieses Märchen mal im Original genauer angesehen.
Und mit Erstaunen tatsächlich einige Parallelen entdeckt! Zahlreiche Märchen und Erzählungen greifen dieses Thema auf, aber der rote Faden bleibt immer gleich. Wer im Schlaraffenland lebt, braucht sich um nichts Sorgen zu machen! Also im Vergleich zu früheren Zeiten, sind wir jetzt sehr reich, oder haben zumindest Wohlstand, wir haben eine sehr lange Lebenserwartung, sind gesund, sauber, leben in einer sicheren Umgebung und manche von uns sind sogar ausgesprochen attraktiv. Und sollte uns etwas passieren, gibt es ein Sicherheitsnetz, ein Gesundheitssystem, eine Grundversorgung, Arbeitslosengeld. Man könnte fast sagen: es soll uns gut gehen, koste es was es wolle!
Die Tiere fliegen zwar noch nicht fertig gebraten durch die Luft, aber in diversen Fast Food Restaurants geht es mittlerweile schon ähnlich schnell. Und es könnte noch besser werden. Nachdem sich durch die Stilllegung von gigantischen Fleischfabriken tausende Tonnen Schweinfleisch stauen, würde es mich nicht überraschen, wenn wir künftig – ähnlich wie beim Erdöl – dafür bezahlt bekämen, wenn wir Industrieschweinefleisch konsumieren wollten.
Im Schlaraffenland leben die Menschen im Überfluss und hart zu arbeiten, gilt als Sünde! Ein Schelm wer dabei an die Manager von Wirecard, Commerzbank, KPMG, VW oder an die der Fracking-Öl-Firmen denkt, die, bevor sie ihre Fabriken geschlossen haben – aus den stillgelegten Bohrlöchern (zwei Millionen in den USA) entweicht jetzt massenhaft giftiges Methan – noch dicke Boni bezogen haben.
Das Verhältnis zu Frauen ist in dem Märchen so festgehalten: „Wer eine Frau hat, die ihm nicht mehr jung genug und hübsch, der kann sie dort gegen eine junge und schöne vertauschen und bekommt noch Draufgeld dafür.“ Was mit den alten sturen Böcken mit Bierbauch passieren soll, wird nicht näher ausgeführt.
Beispiele könnten wir derer noch viele anführen, aber für mich stellt sich die Frage: Warum können wir dies nicht mehr genießen? Warum lebt es sich so freudlos im Schlaraffenland? Auch zu dieser Frage bietet Bregman eine interessante These: Wir sind satt! Es fehlt uns an Motivation für Veränderung. Und den Hauptgrund hierfür formuliert er in einem zentralen Satz: „Wir können uns nichts Besseres vorstellen“. Dabei übersehen wir eine große Chance. Auch wenn uns Wohlstandsperspektiven fehlen, so gibt es doch etwas, von dem im Märchen vom Schlaraffenland nicht zu lesen ist. Nämlich Sinnhaftigkeit! Diese unsere reiche und wunderbare Welt gehört mit Sinn erfüllt. Lasst uns daran arbeiten, dies ist eine Sünde wert!
Business-Concierge und Charakter Trainer
Einerseits werden Freude, Glück und Genießen in unterschiedlichen Kulturen unterschiedlich definiert, und andererseits sind wir in der Bedürfnispyramide weit davon entfernt, ganz oben angekommen zu sein.
Die meisten Weltreligionen spielen leider eine entscheidende Rolle in diesem Zusammenhang. Schlussendlich werden wir eine befriedigende Antwort nur in der Auseinandersetzung mit uns selbst finden. Der Ort, wo diese Auseinandersetzung stattfinden kann - und das ist ein tief philosophisch Ansatz - ist nicht für alle von uns zugänglich.