Ich muss es einfach sagen: auf meine Sinne ist Verlass!
Denn mit steigenden Temperaturen und zunehmendem Tageslicht beginnen meine Gaumenknospen zu rebellieren. Spätestens jetzt haben sie genug von der Monotonie des Winters und lechzen unaufhörlich nach frischem, saftigem Grün.
Zeitgleich beginnt es auch in meinen Beinen zu kribbeln und ich glaube die Aufforderung verstanden zu haben. Ausgerüstet mit Körbchen und Messer mache ich mich auf die Suche nach den ersten frühlingshaften Schätzen in meinem Garten.
Weit brauche ich dabei nicht zu laufen, denn gleich um die Ecke sprießen die ersten zarten Blättchen des Bärlauchs, den ich vor Jahren auf der Schattenseite des ehemaligen Spielhäuschens meiner Kinder gepflanzt habe. Hier, unter dem Haselstrauch auf humusreichem Waldboden, fühlt sich der „wilde Knoblauch“ richtig wohl. Zum Dank beglückt er mich Jahr für Jahr mit wachsendem Erntesegen.
Spätestens jetzt kommt auch der Tastsinn in Form meiner Hände ins Spiel, welche die ersten Blattspitzen behutsam abzwicken und diese mit einem guten Gedanken an die Frühlingsgöttin Ostara in das Körbchen legen. Der Duft, der mich dabei begleitet, tut es kund, dass es sich wirklich um Bärlauch handelt. Für den typischen Knacks, welche der dicken Blattrippe auf der Rückseite beim Umbiegen entspringt, ist es noch zu früh. Für weniger geübte SammlerInnen unter anderem ein wichtiges Indiz, dass sie keiner Verwechslung mit den Blättern von Maiglöckchen oder Herbstzeitlose aufsitzen.
Jetzt geht es zurück zu meiner Naturwiese, die trotz intensiver Bemühungen noch immer nicht mit der gewünschten Artenvielfalt punktet. Einem Gesellen scheint das allerdings egal zu sein, denn er kann mit Löwenkräften aufwarten. Die Rede ist vom Löwenzahn. Zugegeben, ein nährstoffreicher Boden wäre ihm schon lieber, aber bei Bedarf nimmt er auch mit meiner Magerwiese vorlieb. Seine Urkraft macht weder vor verdichteten Böden noch vor steinhartem Straßenteer Halt.
Mit der Ernte der täglichen Portion Löwenzahn beginnt jene meditative Arbeit, die ich über alles liebe! Selten kann ich so zur Ruhe kommen und meinen Gedanken und Träumen freien Lauf lassen. Das fast schon zum Ritual gewordene „Zicchoriestechen“, wie das bei uns in Südtirol heißt, wird mich nun für mehrere Wochen begleiten. Das Putzen, Waschen und Aufschneiden hingegen beamt mich rasch wieder auf den Boden der Wirklichkeit zurück. Aber egal! Die kleine Mühe nehme ich gern in Kauf, wenn es darum geht, meiner Frühjahrsmüdigkeit in Form eines powermäßigen Wildkräutersalates ein Schnippchen zu schlagen. Die Beigabe einer gehackten Zwiebel und einer Handvoll Sonnenblumenkerne tun das Übrige.
Ein paar Primel- und Veilchenblüten, die sich wie von Zauberhand in meinem Garten angesiedelt und inzwischen stark ausgebreitet haben, kann ich als essbare Deko ebenfalls gut gebrauchen. Die Gänseblümchen hingegen lassen sich nach dem ungewohnten schneereichen Winter heuer noch etwas Zeit.
Für heute fehlt mir nur noch ein einziges Kräutlein zum absoluten Glück! Unter dem Kräutertisch lugen sie bereits zaghaft hervor, die kleinen roten Triebsprossen der Brennnessel. Sie ist die Wehrhafteste von allen! Aber wir haben bereits seit langem Freundschaft geschlossen und so kann ich beim Ernten ohne weiteres auf Handschuhe verzichten. Die kaum merkbaren, nadelstichartigen Schmerzen sind leicht auszuhalten. Schließlich dienen sie ja einer guten Durchblutung und können akut auftretenden Kreuzschmerzen bei fachgerechter Anwendung sogar Einhalt gebieten.
Auf die leckere grüne Suppe, die ich abends aus Gemüsebrühe, Zwiebeln, Kartoffeln, Karotten und Brennnesselspitzen zaubern werde, freue ich mich jedenfalls schon jetzt. Ein paar Brennnesselsamen vom letzten Jahr darüber gestreut und fertig ist mein delikates Nachtmahl, das ich mit selbstgebackenem Dinkelbrot und einem würzigem Quarkgemisch aus Schnittlauch, Bärlauch und Schnittknoblauch Bissen für Bissen mit Freude und Dankbarkeit genießen werden.
Hildegard Kreiter war es bereits in ihrer Zeit als Lehrerin wichtig, ihren Schülern die „Wunderwelt“ Natur näherzubringen. Sie ist ausgebildete Kräuterpädagogin, Kneipp-Gesundheitstrainerin, Gartenführerin und Gedächtnistrainerin. Bereits 3 Bücher hat Hildegard geschrieben und das vierte ist in Arbeit. Außerdem schreibt sie für eine Südtiroler Frauenzeitschrift, tritt im Beraterradio auf, hält zahlreiche Kurse und betreut ihre Website www.gruenundkraft.com auf der es regelmäßig Neues nachzulesen gibt.
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